Read | 30. Mar 2021

Until Death Does Part Us

This book, it´s title roughly translated as "Life Is A Temporary Condition", is a rare sensation - sorry that you have to wait until it translates into English, it was only now published in Germany by rowohlt publishing house.

So, my fellow German speaking readers - go for my critic at Neue Zürcher Zeitung and get the fantastic book!

Am Ende hat man eine Liebesgeschichte gelesen. Die davon lebt, das jemand sterben wird.

 Eine Frau will sich nach vielen Jahre Ehe trennen von ihrem Mann, sie hat das Gefühl, die Entfernungen sind unüberwindbar geworden zwischen ihnen, was sie zusammenhält, scheint nur noch Gewohnheit, Erinnerungen an bessere gemeinsame Zeiten, der Freundeskreis.

 Das finale Gespräch hat mittags stattgefunden, sie ist entschlossen, er ist völlig überrascht, noch nicht überzeugt davon, dass sie wirklich geht. Auch das ein Klassiker, in modernen Beziehungen sind es die Frauen, die Ehen in Frage stellen, verheiratet sind sie mit Männern, denen ein entfremdeter Alltags-Trott einerlei zu sein scheint - was erwartet sie denn noch, nach all den Jahren?  Eine „Marriage-Story“ im Narrativ unserer Zeit, Ende ungewiss, da kommt abends der Anruf aus dem Spital, „Ihr Mann…Notaufnahme.“

 Gabriele von Arnim schreibt: „Das war´s. Sie hat nie wieder daran gedacht, ihn zu verlassen.“

 Der Mann, bei dem sie nun bleibt, bis dass der Tod sie scheidet (zehn Jahre später), kehrt nach zwei Schlaganfällen zurück in die gemeinsame Wohnung über den Dächern Berlins. Er ist ein anderer geworden: schwer behindert an Bett und Rollstuhl gefesselt, bleibt er geistig hellwach, doch Motorik und Sprachvermögen sind gestört, „Wenn dann die Worte nicht in den Mund wollen, nicht auf die Zunge.(…) sie bleiben auf dem Papier, verweigern sich, so gesprochen zu werden, dass ein anderer sie verstehen könnte.“

 Dabei sind es diese Worte, das Sprechen, Debattieren, mit denen ihre Liebe einst begann,

Lesen und Rezipieren des Gelesenen hat in dieser Ehe zweier Ausnahme-Journalisten immer eine herausragende Rolle gespielt: Er hat seine Laufbahn als politischer Beobachter in Zeitungen begonnen und später beim Fernsehen Karriere gemacht, eine der meist beachteten in der damals noch westdeutschen Republik, am Ende ist Martin Schulze Chef der Fernseh-Anstalt ARD. Sein Renommee reicht über die Pensionierung hinaus, er bleibt ein gefragter Journalist, moderiert, interviewt, schreibt.

 Seine Eloquenz, sein Witz und sein Charisma – aber auch seine virile Vitalität lassen den begeisterten Tennisspieler und Mountainbiker in der neuen Hauptstadt schnell zum Mittelpunkt eines intellektuellen Zirkels werden. Jetzt müssen auch Freunde und Bekannte lernen, diesem versehrten Mann nicht die Würde abzusprechen.

 Von Arnim schont sie nicht, diese Freunde, beschreibt immer wieder, wie sie scheitern, nicht nur an ihm, auch an ihr: „Wir wollen Welt, aber oft weiss die Welt nichts anzufangen mit uns.“ 

 An anderer Stelle zitiert die Autorin das nigerianische Sprichwort vom Dorf, das es braucht, ein Kind aufzuziehen – und überträgt es auf ihre Situation: dass eine einzelne Person überfordert sein muss von der Pflege eines schwer kranken über eine so lange Zeit.

 Doch es ist nicht leicht, das Bürgerrecht in diesem Dorf zu ergattern. Freunde disqualifizieren sich, weil sie ihre Ängste und Unsicherheiten nicht bezwingen, zu rücksichtsvoll oder zu rücksichtslos mit dem Kranken umgehen, überfordert sind mit dem neuen Gegenüber, in das sich der Freund, Kollege, Nachbar verwandelt hat.

 Eine Familie findet ebenfalls nur am Rande statt, die Enkel, einmal auch die dazu gehörige Tochter, wie es scheint nicht seine, nur ihre Nachkommen, werden als Figuren erst nach seinem Tod, beim Überwinden der Starre, die sein Fehlen auslöst, etwas lebendiger.

 Gabriele von Arnim hat sich für eine Erzählform entschieden, die exklusiv bei ihrem inneren Erleben bleibt. Sie gleicht nicht ab mit ihrem Umfeld, wer vielleicht auch leidet, ihn vermisst, nur sie und er, ihre Gefühle interessieren sie. Kann sie ihm seine Würde bewahren? Was bedeutet der Verlust jeder Privatheit für ihn? Wäre er lieber tot? Und was ist aus ihr geworden, welches Kapitel ihrer Liebesgeschichte wird hier geschrieben?

 Als Leserin schnürt einem das blosse Gedankenspiel mitunter die Kehle zu.

 Es ist eine Sache, wie US-Schriftstellerin Joan Didion kurz nach dem plötzlichen Herz-Tod des geliebten Mannes die Gefühle der Trauer und des Verloren-Seins als „Jahr magischen Denkens“ zu erleben, wer würde da nicht mitleiden. Aber: Das eigene Leben aufzugeben, es ganz und gar einem anderen Menschen zu widmen, wer will sich das heute noch vorstellen?

 Wir haben als Gesellschaft längst entschieden, die Betreuung minder funktionierender Familienmitglieder, seien sie alt, behindert oder im Kleinkind-Alter, an Institutionen zu delegieren. Auch darum gilt das ungewohnte häusliche Miteinander als grösste psychische Belastung der Corona-Krise.

 Gabriele von Arnim erlebt ihre Situation auch als Chance. Sie findet in dem Mann, den sie pflegt, den Partner wieder, den sie verloren gegangen glaubte. Und sie kommt in Kontakt mit eigenen traumatisierenden Kindheitserinnerungen, Verlassens-Ängste holen sie ein. Sie lässt das geschehen, wie auch nicht - was würde dieser alte, lang verdrängte Schmerz jetzt noch ausrichten können? Und darüber hinaus erlaubt offenbar ihre neue, unfassbare Erfahrung eine erwachsenere Konfrontation.

 „Als er krank wurde und krank blieb, wurde es hohe Zeit für sie, in die Kindheit und nach dem Kind zu schauen. Sie hatte es lange dort liegen lassen in seiner Not, seiner Traurigkeit, seinem Zärtlichkeitshunger, seinem Alleinsein. Hatte es nicht aufgenommen bei sich um es nachträglich zu erlösen. Den freundlichen Blick auf Menschen hatte sie dort, wo sie herkam, nicht gelernt. Auch nicht den freundlichen Blick auf sich. Den sie jetzt so braucht. In der nächsten Krankheit. Seiner Krankheit. Den freundlichen Blick auf ihn und auf sich. Und den Mut, Verwundbarkeit zuzulassen.“

 Man liest Absätze wie diesen im Buch und fragt sich: Verpassen wir das alles, wenn wir uns entscheiden, den Ehepartner nicht zu pflegen und stattdessen in einem Heim unterzubringen? Wenn wir vielleicht sogar einen Pakt geschlossen haben, im gesunden Vorleben, den jeweiligen Partner aus der Situation zu entlassen, sollten zu viele der im Wortsinn liebenswerten Qualitäten ausfallen?

 Legale Sterbehilfe hat uns die Möglichkeit eröffnet, ein unerträgliches Leben vor Ablauf der Zeit beenden zu können. Aber wann wird ein Leben unerträglich, für einen selbst, unzumutbar für den anderen?

 Gabriele von Arnim erzählt auch von diesen dunklen Stunden, hin und wieder wechselt sie in die dritte Person, als müsse sie sich aus der Distanz anschauen, überprüfen, was „sie“ da macht, denkt, liest. So gerät dieser zutiefst literarische Text nie in Verdacht, sentimental zu sein. Die Sprache von Arnims ist so präzise wie leise, jedes Wort mit Bedacht gewählt – dieses Buch entfaltet seine besondere Kraft, weil etwas wahrhaft Schönes entsteht aus dem Schrecken.

 Eine andere grosse Wortfinderin, Joyce Carol Oates, hat den unerwarteten Tod ihres Mannes in einem umfangreichen Werk beklagt, Gabriele von Arnim hat „Meine Zeit der Trauer“ damals für die ZEIT besprochen, leicht genervt vom unstrukturierten Mix aus „ Trauer, Wut, Schuldgefühlen, Banalitäten.“ Mag sein, vermutet sie nicht ohne Ironie, dass dieses Gefühls-Chaos schwer auszuhalten sei – Oates war beim Erscheinen des Buches bereits neu verheiratet.

 Zum Glück gibt es Rilke. Und Cécile Wajsbrot und John Williams. Und immer wieder Albert Vigoleis Thelens „Insel des Zweiten Gesichts“, Schlüsselroman am Anfang ihrer Liebe, den sie ihm am Ende in den Sarg legen wird.

 Bücher ragen wie Leitstäbe aus dem Tiefschnee dieser Erzählung, beinahe auf jeder Seite. Ihr Leben lang hat von Arnim Antworten, Trost, Lebensfreude im Lesen gefunden, das Rezensieren wurde zur Profession. Jetzt gehört das Lesen zu ihrem Wesen wie die Farbe ihrer Augen und die Liebe zum Wohnen und Einrichten, der sie ein Extra-Kapitel widmet.

 Für ihn werden Vorleser zu seinen Dorf-Ältesten, um in der afrikanischen Bilderwelt zu bleiben; abwechselnd und beinahe täglich sitzen sie dem Kranken in seinem Rollstuhl gegenüber, lesen aus der Zeitung vor, aus Romanen. Tages-Politisches, Ernstes und Heiteres, Gedichte und Romane. Weggefährten sind darunter, aber auch weiter entfernte Bekannte, die im Vorlesen eine Möglichkeit entdeckt haben, mit ihm in Kontakt zu sein und sich dabei selbst zu spüren.

 Auch sie werden ihn schmerzlich vermissen wenn er nicht mehr da ist, um sich auf sie zu freuen.

 

 

 „Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“, von Gabriele von Arnim, Rowohlt 2021